Ja, es gibt sie, diese unwiderstehlichen Jahrgänge, über die man über Generationen hinweg spricht: 1945 (das Jahr des Sieges – L’année de la victoire), 1947, 1961, 1982 und 1986 auch wesentlich öfter vorkommend – die absoluten Super-Jahrgänge in Bordeaux. Natürlich gibt es auch die historischen Verlierer, wobei 1991 besonders auffällt. Diese Jahrgänge verbinden Generationen; und Weine und ihre Jahrgänge werden zu Legenden. In letzter Zeit hat man häufiger von den moderneren Super-Jahrgängen gehört: 1989, 1990, 1995, 1996, 2000, 2009, 2010, 2015 (wir berichteten über den Trugschluss), 2016 und eben auch 2005. Genau diesem Jahr möchten wir uns heute widmen, denn es ist eine ewige Frage: Wann trinke ich den Bordeaux am liebsten?
W23 ist fest davon überzeugt, dass jeder die Tertiäraromen im Bordeaux liebt. Besonders zu Beginn einer Weinliebhaber – oder sogar Weinsammler -Karriere ist die Frage nach den Jahrgängen magisch und nicht einfach zu beantworten. Der Jahrgang 2005 erscheint gerade als günstiger Jahrgang für viele Weintrinker. Er ist tatsächlich ein sehr gefeierter Jahrgang in der Fachpresse und zeigt großes Potenzial. Aber auch die weniger erfahrenen Weintrinker, die nicht nur die besonderen Bordeaux-Tertiäraromen suchen, finden noch ihre Freude an diesem bald 20 Jahre alten Jahrgang.
Wenn Jahrgänge hochgejubelt werden, kann das an vielen Gründen liegen. Zum einen liebt die Weinindustrie gute Publicity, und die Wahrheit wird oft erst Jahre später entdeckt. Aber auch Weinhändler, Winzer und vor allem Weinkritiker leben von der Bewertung solcher Jahrgänge und profitieren in der Regel von Lob und Jubel deutlich mehr als von Tadel. 2005 hat uns überrascht, weil dieser Jahrgang auch bei den einfacheren und günstigeren Weinen, auch aus dem Médoc, eine tolle Langlebigkeit zeigt.
Wir wollten die Probe aufs Exempel machen und haben einen unserer Lieblingsweine getestet: Château Léoville Poyferré 2005. Und gegen diesen Wein haben wir einen harten Gegner aus Kalifornien gestellt: Joseph Phelps Insignia 2005. Man muss sagen, dass Léoville Poyferré wirklich extrem jugendlich daherkam. Im Blind-Tasting wurde diesem Wein nicht einmal 10 Jahre zugeschrieben. Allein so etwas ist fantastisch, wenn das tatsächliche Alter doppelt so hoch ist. Trotzdem zeigt der Wein in diesem jugendlichen Alter alles, was man haben möchte (man betrachte die Lebenserwartung von locker 50 weiteren Jahren): eine tolle und dezente Cassis-Frucht, beginnende Tertiäraromen mit Leder und Tabak, aber von der ganz feinen Sorte, wie es die Freunde aus St. Julien lieben. Wunderbare, feine und perfekt integrierte Tannine, für die sich das Probieren schon lohnt. Wir haben auch viel Graphit, geradezu einen Bleistift im Mund. Wir sehen die ersten Reifearomen, die in den nächsten Jahren noch viel Freude beim Reifen bereiten werden. Außerdem ist der Wein nicht kompliziert zu trinken. Das soll nicht heißen, dass er nicht komplex ist. „Einfach zu trinken“ ist bei den Weinexperten oft negativ besetzt, aber hier meinen wir es absolut positiv. Es ist ein Paradebeispiel für die Faszination Bordeaux. Wenn ich einen Tipp an alle Weintrinker geben darf, dann füllen Sie Ihren Keller mit dem Jahrgang 2005, insbesondere vom linken Ufer. Sie werden in den nächsten Jahren an den einfacheren Weingütern und Weinen viel Freude haben und in vielen Jahren noch größere Freude an den Top-Labels, so wie bei diesem Léoville Poyferré, den wir hier getestet haben.
Außerdem zeigt sich die alte Regel: Man kauft am besten eine Zwölfer OHK (Original-Holzkiste mit zwölf Flaschen), da sich das Begleiten des Weines während der Reifung über die nächsten Jahre lohnt und viel Freude bereiten wird!
Nicht unerwähnt bleiben soll ein besonderer Vertreter aus dem Napa Valley in Kalifornien. Joseph Phelps ist mit seinem Insignia sicherlich jedem Weinexperten ein Begriff. Doch auch dieser Wein mutet geradezu französisch an, und das ist aus Sicht von W23 ein großes Lob. Auch hier finden wir die Aromen, die sonst nur große Weine aus Bordeaux hervorbringen, allerdings etwas fruchtbetonter, was dem einen oder anderen Liebhaber klassischer Bordeaux möglicherweise etwas zu viel erscheint. Aber es ist fantastisch ausbalanciert und eben nicht zu viel. Der Wein verbleibt ebenfalls „stundenlang“ im Gaumen und zaubert dem glücklichen Trinker ein Dauergrinsen ins Gesicht.
Wir feiern diesen Wein. Beide Weine erhalten von uns 99+/100.