Jedes Jahr, wenn die „en primeur“-Woche beginnt, werden die Weine von Winzern und sogenannten Weinexperten bewertet. Diese Experten setzen sich aus Vertretern der Presse, Händlern und Kritikern zusammen. Das Jahr 2015 wurde als absoluter Ausnahmejahrgang angesehen. Gerade nach dem mittelmäßigen Jahr 2014 und dem historisch schwachen Jahr 2013 atmete die Weinwelt auf und feierte den Jahrgang 2015. Dieser sollte zusammen mit 2016 einer der legendären Doppeljahrgänge werden, die es in Bordeaux schon oft gab. Viele erinnern sich an die Jahre 1989 und 1990, oder 1995 und 1996, oder 2009 und 2010. Diese Doppeljahrgänge brachten regelmäßig Top-Weine hervor, die auch noch formidabel reiften. So sind gerade die Weine aus 1999 und 1990 jetzt im wunderbaren Trinkfenster. Jedoch wurde 2015 noch einmal besonders hervorgehoben, und so kam es dazu, dass wir zuletzt häufiger überprüfen wollten, wie unsere Vorräte dieses besonderen Jahrgangs nun reifen würden. Doch wir zeigten uns enttäuscht.
Viele Weine entwickelten früh eine Sherry-Note, und der Portwein dominierte den Gaumen. Diese oxidativen Töne empfanden wir als störend. Auch die Farbe zeigte sich nicht wie gewohnt in tiefem Dunkelrot oder violetten Reflexen, sondern ging direkt in eine fortgeschrittene bräunliche Farbnote über. Insgesamt waren wir ziemlich enttäuscht von diesem ach so gefeierten Jahrgang. 2023 probierten wir vor Ort einige dieser Weine direkt an den Chateaus in Bordeaux, und die Enttäuschung zog sich weiter durch. Aber was war nun so besonders an 2015?
2015 zeigte sich von einer warmen Seite, und das Klima war insgesamt ausgesprochen günstig für den Wein. So waren sich Winzer und Presse einig, dass dieses Jahr und dieser Weinjahrgang ganz großartig waren. Doch bei den ersten Verkostungen in den letzten zwei Jahren waren wir von W23 regelmäßig enttäuscht von der Wirkung des Jahrgangs. Das war nun das große Problem. Diese Weine zeigten eine atypische Art und Weise, und damit genau das, was wir ansonsten an Bordeaux so liebten, konnte nicht gezeigt werden. Insgesamt hatten wir das Gefühl, dass oxidative Töne recht früh präsent waren. Im Grunde das Gegenteil von dem, was wir uns bei der Reise von Bordeaux wünschen. Und Kirsch-Noten, Portwein-Noten und eine ausgeprägte Frucht, die an Übersee und Marmelade erinnerte. Wir waren wirklich regelmäßig enttäuscht. Im letzten Jahr haben wir viele Weine direkt an den Chateaus in Bordeaux probiert, und wir machten uns große Sorgen um unsere Einlagerungen im Keller. Es ist insgesamt ein Jahrgang, von dem wir dem klassischen Liebhaber Bordeaux-Weine abraten würden. Und trotzdem haben wir beim Aufarbeiten der Themen festgestellt, dass es Vertreter gibt, die durchaus überzeugen können.
So probierten wir einen der ganz klassischen Vertreter aus Saint-Julien, nämlich Chateau Léoville-Poyferré. Und dieser zeigte sich in Höchstform und in ganz klassischem Gewand. Auch Chateau Troplong-Mondot vom rechten Ufer zeigte sich hedonistisch, „straight“ und jung und frisch. Genauso wie ein 2015er Wein eben heute schmecken muss. Und auch bei dieser primeurs Woche im April 2024 in Bordeaux durften wir als Überraschung von Kellermeister Philippe Baillarguet den Clos de Baies 2015 blind trinken. Den Jahrgang konnten wir aufgrund seiner Typizität sofort erkennen. Doch wir waren begeistert. Keine störenden Töne. Hedonismus. Die Farbe zeigte sich zwar so wie regelmäßig, etwas weniger violett, sondern schon beginnend bräunlich. Dennoch kam der Wein äußerst frisch und genussvoll daher. So vergaben wir spontan 96 plus Punkte und freuen uns, dass sich dieser Wein wahrscheinlich noch deutlich verbessern wird.
Bei Troplong-Mondot gaben wir sogar 97 plus, genauso wie bei Chateau Léoville-Poyferré. Alles ganz klassische Vertreter, die vielleicht doch noch das Ansehen dieses für uns schwierigen Jahrgangs 2015 retten können.